Lehrforschungsprojekt zu ‚Wissmann in Bad Lauterberg‘ #1

Von Norbert Pötzsch

Foto: Norbert Pötzsch (2023)

Mit Bad Lauterberg verband ich bisher Ausflüge zu Kaffee und Kuchen oder zum Schwimmen ins Vitamar. Natürlich ist dies zum einen nicht die gesamte Wahrheit – in Bad Lauterberg gibt es viel mehr als nur positive Freizeiterlebnisse – und zum anderen ist meine Perspektive die eines Außenseiters. Die Außenseiterperspektive ist Ethnolog*innen nicht neu, da sie zwangläufig der Ausgangspunkt jeder unserer Forschungen ist. Als ich mit meiner Außenseiterperspektive auf das Thema um ‚Wissmann in Bad Lauterberg‘ durch eine Zoom-Konferenz zur Veröffentlichung folgenden Videos stieß, war meine Neugierde geweckt:

Wie ich erfuhr, gab es einen angeregten Diskurs um Hermann von Wissmann, dem als ehemaligen Kolonialbeamten in Deutsch-Ostafrika in Bad Lauterberg eine Statue aufgestellt und nach dem eine Straße benannt wurde. Hermann von Wissmann steht heute vor allem wegen seinen kolonialen Bestrebungen und seiner Anwendung von Gewalt gegenüber der lokalen Bevölkerung in Deutsch-Ostafrika in der Kritik (Cramer 2022; Kutsche 2022: 10), was auch den Umgang mit seiner Person in Bad Lauterberg in Frage stellt. Hierzu gibt es viele verschiedene Stimmen, die angehört und verstanden werden müssen.

Foto: Norbert Pötzsch (2023)

Nachdem nun meine Neugierde geweckt war, entsprang aus ihr eine Idee. Da ich im Sommersemester 2023 wieder die Lehrveranstaltung ‚Feldforschung Übung‘ für das Institut für Ethnologie übernehmen sollte, wollte ich eine Lehrforschung zu ‚Wissmann in Bad Lauterberg‘ anbieten, um sozusagen aus der Außen- eine Innenperspektive zu machen. So begann ich erste Kontakte zu knüpfen und mich in die Thematik einzulesen.

In einer Publikation zu Hermann von Wissmann resümieren Stefan Cramer, Friedhart Knolle, Brigitte Maniatis und Martin Struck am Ende ihres Artikels ‚Chronologie des Widerstands gegen das Kolonialdenkmal‘:

„Doch es bleibt noch viel zu tun. Die Diskussion über eine eventuelle Umbenennung der Wissmannstraße ist noch nicht beendet. Die Mindestforderung ist die nach der Aufstellung von Informationshinweisen an der Straße und die Entfernung des zu Unrecht ehrenden und euphemistischen Zusatzschildes ‚Afrikaforscher‘. Das Denkmal steht nach wie vor im Kurpark. Aber das hat auch sein Gutes. Solange die Plastik im öffentlichen Raum sichtbar bleibt, wird sie immer wieder für Auseinandersetzungen und Diskussionen über den deutschen Kolonialismus sorgen“ (Cramer u. a. 2022: 42).

An dieser Stelle will ich mit der Lehrforschung ansetzen: Warum sollten die Studierenden und ich nicht mit unserer ethnologischen Perspektive an den Diskursen und Diskussionen um deutschen Kolonialismus und Erinnerungskultur um Wissmann in Bad Lauterberg teilnehmen? Hier werden wir nicht nur die Chance haben, unsere methodischen Werkzeuge zu schärfen, sondern vielleicht auch einen Beitrag zu ‚Wissmann in Bad Lauterberg‘ zu leisten! Wir wollen versuchen, möglichst viele und unterschiedliche Meinungen und Ideen zu erfassen, um uns ein eigenes Bild vom Thema zu machen.

Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit den Studierenden und mit den Menschen vor Ort, die sich schon über viele Jahre hinweg mit dem Thema auseinandersetzen (müssen)!

Literaturverzeichnis

Cramer, Stefan u. a. (2022) Chronologie des Widerstands gegen das Kolonialdenkmal. In: Fabiana Kutsche u. a. (Hrsg.), Hermann von Wissmann und Bad Lauterberg: Eine Spurensuche. Clausthal-Zellerfeld: Papierflieger Verlag GmbH. (Spuren Harzer Zeitgeschichte, 9)

Cramer, Stefan (2022) Hermann von Wissmann: eine zu Unrecht geehrte Person. In: Fabiana Kutsche u. a. (Hrsg.), Hermann von Wissmann: Eine zu Unrecht geehrte Person. Clausthal-Zellerfeld: Papierflieger Verlag GmbH. (Spuren Harzer Zeitgeschichte, 9)

Kutsche, Fabiana (2022) Hermann von Wissmann (1853-1905): Eine biografische Annäherung. In: Fabiana Kutsche u. a. (Hrsg.), Hermann von Wissmann und Bad Lauterberg: Eine Spurensuche. Clausthal-Zellerfeld: Papierflieger Verlag GmbH. (Spuren Harzer Zeitgeschichte, 9)

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Infotage an der Uni Göttingen

In den letzten beiden Tagen (13. und 14.3.) haben wir an unserem kleinen Stand sowie nach den Vorträgen zum Fach bei den Infotagen im ZHG viele schöne und spannende Gespräche mit Studieninteressierten führen dürfen. Neben den berechtigten Fragen danach, was man später überhaupt mit der Ethnologie anfangen kann, haben wir auch viele kleinere und größere Einblicke in das ethnologische Denken und in unsere (Studien-)Arbeit geben können. Dabei ist uns wieder aufgefallen, wie breit gefächert die Möglichkeiten in der Ethnologie sind, eigenen Interessen nachzugehen und für sich selbst neue Themen zu erschließen. Die vermeintliche Unbestimmtheit kann durch die enge Betreuung an unserem Institut ganz schnell zur Stärke werden: Wir stehen gerne bereit, um Studieninteressierten weitere Einblicke in die eigene Zukunft mit der Ethnologie zu geben! Schreibt Hans Reithofer oder Norbert Pötzsch eine Mail und wir finden sicher einen Weg, der euch zu euren Interessen führt!

Paul Christensen verlässt das Institut für Ethnologie

Zum 03.03.2023 nehmen wir Abschied von Dr. Paul Christensen, der seit 2010 Mitarbeiter des Instituts war. Nach einem Studium der Religions- und Kulturwissenschaft an der Universität Bremen begann Paul als Wissenschaftliche Hilfskraft bei Prof. Andrea Lauser im Februar 2010, arbeitete als ihr Mitarbeiter, vertrat die Koordinationsstelle des Kompetenznetzwerkes DORISEA und warb anschließend ein Promotionsstipendium der Studienstiftung ein. Zwischen 2012-13 forschte Paul in Kambodscha zur Relevanz von Geistern in der Gesellschaft und Politik. Ab 2017 arbeitete Paul erneut als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts und beendete das Promotionsverfahren 2020 mit der Veröffentlichung seiner Doktorarbeit „Geister in Kambodscha“. Nun wechselt er den Arbeitsplatz innerhalb der Fakultät und wird unter der Leitung von Prof. Halyna Leontiy Koordinations- und Lehraufgaben für den Studiengang Sozialwissenschaften übernehmen.

Wir wünschen Paul Christensen weiterhin viel Erfolg!

Dr. Julia Koch Tshirangwana ins Walter-Benjamin-Programm der DFG aufgenommen

Von Februar 2023 bis Januar 2025 wird die Institutsmitarbeiterin Dr. Julia Koch Tshirangwana im Rahmen des Walter-Benjamin-Programms der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Südafrika und in Göttingen ihrem Habilitationsvorhaben nachgehen. Angesiedelt an der Schnittstelle von Ethnologie und Kommunikationswissenschaft thematisiert das Projekt die Rolle von (ehemaligen) Rundfunkmitarbeiter*innen im politischen Wandel Südafrikas und die Mediationen der SABC, der South African Broadcasting Corporation.

Erste Publikationen dazu sind bereits als Working Paper in der GISCA-Reihe und im Sammelband ‚Challenging Authorities. Ethnographies of Legitimacy and Power in Eastern and Southern Africa‘ von Arne Steinforth und Sabine Klocke-Daffa (2022) erschienen. Nach einem Feldforschungsjahr in Johannesburg, Makhanda (Grahamstown) und Stellenbosch kehrt Julia im Februar 2024 ans Institut zurück.

Institutskolloquium 26.01.2023: Plurale Umwelten – Konflikte um Kontrolle und Konzeptionen von indigenem Land in Indonesien – Prof. Dr. Kristina Großmann

Uhrzeit: 16:15 – 17:45

Online (Zoom): https://uni-goettingen.zoom.us/j/64142324398

Gast: Prof. Dr. Kristina Großmann, Institut für Orient- und Asienwissenschaften, Uni Bonn

Plurale Umwelten – Konflikte um Kontrolle und Konzeptionen von indigenem Land in Indonesien

Land, Wald und Bergbauprodukte sind innerhalb von massivem Ressourcenabbau in Indonesien stark umkämpft. Indigene Landnutzungsprogramme versprechen die Sicherung von Zugang zu Land und Ressourcen und die Stärkung von politischer, ökonomischer und kultureller Mitbestimmung. Es geht aber nicht nur um die Kontrolle von Ressourcen, sondern auch um verschiedene ‚plurale‘ Konzeptualisierungen von Umwelt. Land und Wald können durch Subsistenzwirtschaft den Lebensunterhalt sichern, der Aufenthaltsort von Geistern sein, eine Verbindung zu den Vorfahren herstellen oder Rohstoffe für die Industrie liefern. Konflikthaften Mensch-Umwelt Beziehungen liegen dementsprechend unterschiedliche Konstitutionen von Land oder Wald zugrunde, die in politische Kontexte eingebettet sind. Um diese konflikthaften oder sich überlappenden Mensch-Umwelt Beziehungen konzeptionell zu greifen, verbinde ich Ansätze von politischer Ökologie und ontologischer Anthropologie. Plurale Konzeptionen von Land und Wald indigener Gruppen werden jedoch selten in Landnutzungsprogramme integriert. Ich diskutiere einige dieser Programme und reflektiere, welche Rolle ich als Forscherin bei deren Umsetzung einnehme.  

Kristina Großmann ist Professorin für Ethnologie Südostasiens an der Universität Bonn. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Umwelttransformationen, Intersektionalität und partizipative Forschung. Sie hat zwischen 2017 und 2020 das BMBF geförderte Forschungsprojekt mit dem Titel “FuturEN: Governance, Identities and Future along Categories of Differentiation. The Case of Coal Mining in Central Kalimantan, Indonesia” geleitet. Aktuell leitet sie das Projekt „SpEAking – Sprachkenntnisse als Schlüssel in der gegenwartbezogenen Forschung“ im Zuge dessen Tandem-Lehrforschungen mit Studierenden aus Bonn und Jakarta durchgeführt werden. Ihre neueste Publikation ist das Buch mit dem Titel „Plural Ecologies in Southeast Asia: Hierarchies, Conflicts, and Coexistence”, dass sie zusammen mit Timo Duile, Michaela Haug und Guido Sprenger bei Routledge herausgibt (2023).

Institutskolloquium 19.01.2023: „The Past is a Foreign Country.“ Was können wir aus vormodernen Texten über die Mentalitätsgeschichte lernen?

Termin:: 19.01.2023, 16:15 – 17:45

Raum (Zoom): https://uni-goettingen.zoom.us/j/61786095357?pwd=WFVlVk5XamR1dzRTd09ZQlRlVlRwZz09

Gast: Prof. Dr. Rebecca Sauer, Asien-Orient-Institut, Universität Zürich

Vortrag:

„The Past is a Foreign Country.“ Was können wir aus vormodernen Texten über die Mentalitätsgeschichte lernen? 

In diesem Vortrag sollen landläufige philologisch-hermeneutische Praktiken kritisch reflektiert werden. Traditionellerweise wurde in der philologischen Ausbildung davon ausgegangen, dass anhand von „alten“ Texten Aussagen getroffen werden können über die Lebenswelten vergangener Gesellschaften. Dass es allerdings keineswegs ausreicht, „einfach Texte zu lesen“, wird erst in der jüngeren Vergangenheit immer wichtiger für textnahe Forschung. Philologische Praxis, Nachdenken über Positionalität(en) und Gegenwart sind eng miteinander verknüpft. Hier soll der Versuch unternommen werden, diese drei Stichworte fruchtbar miteinander in Beziehung zu setzen. 

Prof. Dr. Rebecca Sauer wurde an der Universität zu Köln mit einer Arbeit über Korankommentare im Fach „Orientalische Philologie/Islamwissenschaft“ promoviert. Ab 2011 war sie an der Universität Heidelberg als PostDoc im SFB „Materiale Textkulturen. Materialität und Präsenz des Geschriebenen in non-typografischen Gesellschaften“ in einem Teilprojekt zu mamlukischer Schriftkultur angestellt. 2019 folgte die Habilitation in Heidelberg. Nach Stationen als Vertretungsprofessorin in Heidelberg und Frankfurt a.M. ist sie seit August 2022 Professorin für Islamwissenschaft an der Universität Zürich. 

Institutskolloquium am 12.01.2023: Shifting Sands: Unpacking sand labour, livelihoods and ecologies in Cambodia

Time: 04:15 – 05:45 (CET), online only

Guest: Prof. Melissa Marschke, School of International Development and Global Studies at the University of Ottawa

Shifting Sands: Unpacking sand labour, livelihoods and ecologies in Cambodia

Sand, in its fluid form, is constantly shifting, being displaced through human activities and hydrological processes; sand in its fixed form is seen in roads, houses and larger forms of infrastructure development as urbanization trends continue.  This makes the specific connections between the drivers and consequences of sand displacement, environmental shifts, impacted people and development processes difficult to assess particularly in the global South.  Through a focus on communities and workers in coastal Cambodia and along the Mekong River, I examine how the fluid and fixed interactions of sand entwine people, ecosystems and power relations.  I pay particular attention to how local people perceive the benefits and losses associated with intensive sand mining, who bears the brunt of ecological shifts, and reflect upon how sand work is perceived by those workers in the industry.  I conclude with a consideration of what a socially just, sustainable sand agenda might entail.   

Prof. Melissa Marschke is a Professor at the School of International Development and Global Studies at the University of Ottawa with a regional focus on Southeast Asia. Her interests are human-environment relations, with an emphasis on livelihoods, common pool resources and environmental governance. Her PhD “Life, Fish and Mangroves: Resource governance in coastal Cambodia” was published at University of Ottawa Press in 2012. Since then she has published in various journals on different research projects examining (a) work across the seafood sector, and (b) unpacking sand livelihoods. Visit her website to find out more about our guest.

Sonderpreis der Studierendenschaft für engagierte Lehre geht an Echi Gabbert

Echi Gabbert, ehemalige Mitarbeiterin unseres Instituts, hat bei der diesjährigen Akademischen Jahresfeier der Universität Göttingen den Sonderpreis der Studierendenschaft für engagierte Lehre erhalten.

Das Göttinger Tageblatt berichtete.

Über Echi heißt es:

Den Sonderpreis der Studierendenschaft für besonderes Engagement erhielten Christina Gabbert vom Institut für Ethnologie und Informatik-Studentin Nele Hübscher. Einen Kritikpunkt setzte AStA-Referentin Katharina Bornemann: Gabbert nämlich sei nicht mehr an der Georgia Augusta angestellt, und es müsse doch gefragt werden, warum das bei einer so hervorragenden Dozentin so sei.

Die ganze Feier steht auf YouTube, die Ehrung von Echi ist ab 1:17.50 zu sehen. Herzlichen Glückwunsch!